Über die Toponomastik und offenen Wunden

[Il presente articolo è stato pubblicato in lingua italiana sul portale www.salto.bz]

Sie ist wieder, oder immer noch, ein großes Thema in den Beziehungen zwischen den Sprachgruppen in Südtirol. SVP und PD wollen jetzt eine definitive Lösung der Frage, aber so einfach ist es nicht.

Die 6er-Kommission hat unter dem Vorsitzenden Senator Francesco Palermo einen Vorschlag darüber vorangebracht, wie die Frage der geografischen Namen in Südtirol gelöst werden soll. Zur Zeit sind die meisten „offiziellen“ Ortsnamen noch jene, die Ettore Tolomei in den 20er Jahren als italienisch klingende Bezeichnungen teils recherchiert und großteils erfunden hatte. Die SVP hat es bis heute abgelehnt, von der im Autonomiestatut festgeschriebenen Möglichkeit Gebrauch zu machen, den historischen („deutschen“) Namen denselben offiziellen Charakter zu geben wie jenen aus Tolomeis Listen. Dies wohl auch deshalb, weil sie dadurch die Tolomei-Namen mit akzeptiert oder legitimiert hätte. Man zog also vor, die Ortsnamensfrage über Jahrzehnte offen und ungelöst zu lassen. Insbesondere Heimatbund und Südtiroler Freiheit lassen keine Gelegenheit aus zu unterstreichen, dass die meisten der von Tolomei eingeführten Namen zuvor keine Verwendung hatten und durch einen politischen Gewaltakt der faschistischen Diktatur der deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler Bevölkerung aufgezwungen wurden. Ein stimmiges Argument, das für eine Entfernung der von Tolomei eingeführten Namen spricht sowie für die Wiedereinführung der vorherigen Namen.

Ebenso stimmig klingt das Argument, dass man nach fast 100 Jahren Gebrauch Namen nicht so einfach wieder abschaffen kann, selbst wenn der Akt der Einführung ein Gewaltakt einer Diktatur war. Wie also zwischen diesen beiden Positionen vermitteln, die beide gut begründet sind, aber nicht miteinander vereinbar? Es geht nur mit einem Kompromiss, der auf der Basis klarer Richtlinien feststellt, welche geografischen Bezeichnungen zwei verschiedene Sprachvarianten haben müssen, und welche in einer Sprache bestehen sollen (was fast immer auf „deutsche“ oder „ladinische“ Bezeichnungen zuträfe). Das Kriterium soll der effektive Gebrauch der Bezeichnungen sein, der von einer paritätisch besetzten Kommission festzustellen ist. Somit wäre auch eine Methode gefunden, die nur bei effektiver Zusammenarbeit der Sprachgruppen Ergebnisse hervor brächte.

Nun regt sich Widerstand gegen diesen Lösungsansatz. Das Mitglied der 6er-Kommission Roberto Bizzo hat Bedenken und agitiert gegen den sich abzeichnenden Kompromiss. In der Südtiroler PD ist nun ein Streit darüber entstanden, ob der Linie der italienischen Regierung (vertreten durch Palermo, unterstützt von LH-Stv. Tommasini) oder der Linie von Bizzo gefolgt werden soll. Ich denke, man sollte dem Kompromiss zustimmen, denn er führt zwar einerseits einen Verzicht von einigen „italienischen“ Bezeichnungen, doch er verlangt auch von der deutschen Seite, einen Teil der italienischen Bezeichnungen anzuerkennen. Keiner siegt hier über den anderen, aber ein langjähriges Streitthema wäre endlich beigelegt.

Das Problem ist, dass die Ortsnamen symbolisch für etwas anderes herhalten bzw. dazu hochstilisiert werden. Denn in den letzten Jahrzehnten hat die italienische Sprachgruppe kontinuierlich an Bedeutung und Einfluss verloren, was teilweise an der Entwicklung der Bozner Industriebetriebe und dem Abbau der Grenzen in Europa, teilweise am erfolgreichen Aufbau der Autonomie (und der damit erfolgten gerechten Aufteilung der öffentlichen Arbeitsplätze unter den Sprachgruppen) zu tun hat. Dieser Verlust mag zum Teil real und zum Teil gefühlt sein, denn es gibt weder einen Todesmarsch noch eine wirkliche Diskriminierung der zweitgrößten Sprachgruppe Südtirols. Doch die Ortsnamen gelten als Steilvorlage, um die Thesen des Verlustes zu stärken, die besonders auf von rechten Politikern geschürt werden: „Man uns die besten Arbeitsplätze, wir dürfen höchstens Stellvertreter von etwas Wichtigem werden, und als nächstes dürfen auch unsere Ortsnamen nicht mehr offiziell verwendet werden…“

Die deutsche Sprachgruppe (und insbesondere die SVP als Regierungspartei) sollte sich dieser Situation bewusst werden. Wenn sich in Südtirol eine Sprachgruppe – berechtigter oder unberechtigter Weise – an den Rang gedrängt oder benachteiligt fühlt, so hat das ganze Land unter negativen Auswirkungen zu leiden. Es ist im Interesse des Landes – besonders auch der deutschen Sprachgruppe – dass sich die kleineren Sprachgruppen hier ebenso zuhause und als Teil des Landes angenommen fühlen. Das gilt besonders für die italienische Sprachgruppe, die eine junge Geschichte in Südtirol hat und noch nicht so stark verwurzelt ist.

Es geht darum, einen ganzheitlichen Ansatz für Südtirols Entwicklung zu finden, um das Zusammenleben auf eine breitere Basis zu stellen. Der Verein Open Democrat hat dazu im vorigen Jahr einige Vorschläge ausgearbeitet und dem Autonomie-Konvent zur Verfügung gestellt. Gelingt es, Ängste abzubauen und ein neues gemeinsames Bewusstsein zu schaffen, das allen Heimatrecht und echte Anerkennung zugesteht, dann würde eine Änderung der offiziellen geografischen Bezeichnungen keine hochpolitische Frage mehr sein, sondern ein Nebenthema, das höchstens auf Gemeindeebene noch für Diskussionen sorgen dürfte. Südtirol würde etwas „normaler“, und die Politik könnte sich mehr den wichtigen sozioökonomischen Fragen widmen. Denn diese existieren und betreffen das Leben der Menschen im Land – und zwar täglich.

Alexander Tezzele